Entwicklung von Methoden und Technologien für dezentrale Informationssysteme

Prof. Dr. Andreas Harth im Interview über seine Forschung

Herr Prof. Harth, was ist für Sie essenziell für die erfolgreiche Arbeit mit Daten?

Andreas Harth: In Zeiten explodierender Datenmengen braucht es ein Bewusstsein dafür, wo überall Datenbestände »schlummern« und wie man diese Datenschätze heben und nutzbar machen kann. Als Forscher habe ich diese Kenntnisse. Aber es gilt, Unternehmen dafür zu sensibilisieren und das Bewusstsein zu schaffen, dass Daten als eigenständiger Aktivposten gelten, der aufgebaut und verwertet wird.

Wie sensibilisieren Sie Unternehmen diesbezüglich und befähigen sie zum erfolgreichen Umgang mit Daten?

Andreas Harth: Viele Unternehmen – insbesondere auch Mittelständler – sind sich ihrer Datenbestände gar nicht bewusst (und nutzen sie daher gar nicht oder nur eingeschränkt). Sie verfügen über mehr Daten, als sie vermuten, oder könnten z. B. Daten aus ihrem ERP-System besser nutzen, indem z. B. Sendungsdaten mit weiteren Daten angereichert und dann analysiert werden. Ausgangspunkt für die Unternehmen sind somit folgende Fragen: Welche Daten sind im Unternehmen vorhanden, und in welcher Form liegen sie vor? Welche Daten sind für zukünftige Analysen relevant, bzw. welche Daten werden benötigt, um eine aktuelle Fragestellung zu lösen oder um eine konkrete Anwendung zu realisieren?

Ganz gleich also, ob ein Unternehmen Daten für Analysemodelle, zur Prozessoptimierung oder zur Geschäftsmodellentwicklung verwerten möchte – es muss sie nutzbar machen. Dafür braucht es geeignete Technologien und Verfahren zur Datenerfassung und Datenaufbereitung, damit sie nachfolgend schnell und effizient kombiniert und verwertet werden können. Hier setzt meine Forschung rund um vernetzte Datenräume und dem Internet der Dinge an.

Mein Team und ich beantworten diese Fragen in zwei Schritten:

Erstens – wie lassen sich die bereits vorhandenen Daten integrieren und nutzbar machen?
Das ist auch die Frage unseres übergreifenden Forschungsthemas: Datenintegration. Es geht darum, Daten aus unterschiedlichen Systemen so miteinander zu verbinden, dass diese Daten automatisiert integriert und abgefragt werden können. Dabei spielen formale Sprachen basierend auf mathematischer Logik eine tragende Rolle. Kurz gesagt, wir konzipieren vernetze Datenräume, indem wir Daten als Wissensgraphen (Knowledge Graphs) repräsentieren und so den Unternehmen einen einheitlichen und flexiblen Zugriff auf alle relevanten Daten erlauben, sowohl unternehmensintern als auch -extern. Ein Beispiel hierfür ist etwa die automatisierte Zusammenführung von physischen Sendungs- mit kaufmännischen Einkaufs- oder Absatzdaten.

Zweitens – wie kann ich mehr Daten einspielen, bzw. welche Daten lassen sich weiterhin noch nutzbar machen?
In der industriellen Anwendung kommen Daten oft von Sensoren, welche über eine drahtlose Verbindung kommunizieren. Nachdem die Daten verfügbar gemacht wurden und integriert sind, ist der nächste Schritt die Veredelung der Rohdaten hin zu Ereignissen, die für die Prozesse in Unternehmen relevant sind, etwa dem Warenein- oder -ausgang.

Durch ein iteratives Vorgehen bekommen unsere Partner ein Gespür für die vorhandenen Daten, die Möglichkeiten der Technik und deren Einsatzpotenziale für Effizienzsteigerungen und neue Produkte. Deshalb setzen wir Rapid IoT-Prototyping ein, um möglichst schnell die richtigen Technologien und Sensoren für den jeweiligen Unternehmensprozess auswählen und auf ihre Genauigkeit und Granularität in der Datenaufnahme und -verarbeitung testen zu können. So wird direkt prototypisch und mit geringem Aufwand geprüft, wie die Hard- und Software in die eigenen Prozesse integriert werden kann.

Wer kann Ihre Forschungsarbeiten nutzen? Gibt es spezielle Branchen, Kunden?

Andreas Harth: Grundlegend steht unsere Forschungs- (und Beratungs-)leistung allen Branchen und Kunden zur Verfügung, die auf dem Weg zum datengetriebenen Geschäftsprozess ihre Daten nutzbar machen und übergreifend einsetzen wollen. Genauso, wie Daten ja auch branchenübergreifend anfallen. Gerade in der Logistik, wo es um den unternehmensübergreifenden Austausch von Gütern geht, werden auch oft Daten unternehmensübergreifend ausgetauscht. Dazu müssen Daten portabel sein.

Ich würde an der Stelle das Augenmerk aber gerne noch mal auf die Mittelständler lenken: Wie gesagt, sind insbesondere sie sich ihrer Datenbestände gar nicht bewusst. Dabei sind Daten und der richtige Umgang zukünftig das entscheidende Kriterium für unternehmerischen Erfolg. Und auch Mittelständler können mit kleinen Mitteln ihre bereits vorhandenen Daten integrieren und nutzbar machen sowie mehr Daten einspielen und anreichern:

Für den Bereich Datenmanagement und Datenintegration bedeutet das, dass die Datensilos aufgebrochen werden müssen, um so die Daten portabel und für andere Anwendungszwecke verfügbar zu machen. Dieser Prozess beginnt mit dem Datenzugriff. Insbesondere in der Logistik, bei der es um Warenströme zwischen Unternehmen geht, müssen oft auch die Daten über Unternehmensgrenzen hinweg ausgetauscht werden.

Mittels Cloud- und Web-Technologien lassen sich dabei auch für kleine und mittelständische Unternehmen mit vergleichsweise niedrigem Aufwand erste Ergebnisse erzielen. Durch Angebote wie Google Docs, Google Tabellen oder Google Drive können Mitarbeitende eines Unternehmens Dokumente und Daten gemeinsam bearbeiten und auch mit Lieferanten oder Kunden teilen. Das kann helfen, Mitarbeitende zu entlasten und Prozesse zu beschleunigen.

Bei Cloud-Technologien kommt dann zumeist das Thema Datenschutz und Datensouveränität auf den Tisch – möchte ein Unternehmen seine Daten wirklich der »Datenkrake Google« überlassen? Aber hier gibt es auch Lösungen, die Unternehmen selbst auf eigener Infrastruktur betreiben können, wie z. B. Nextcloud. Dabei behalten die Unternehmen die volle Kontrolle über ihre Daten.

Gäbe es denn außer Cloud-Lösungen auf eigener Infrastruktur weitere Ansätze, die mehr Datensouveränität versprechen?

Andreas Harth: Die Solid-Technologie des Web-Erfinders Tim Berners-Lee ist hier ein weiterer, vielversprechender Ansatz. Mit Solid können Privatpersonen und Unternehmen Daten externen Partnern zugänglich machen, müssen dabei aber die Kontrolle über ihre Daten nicht aufgeben. Mit solchen dezentralen Ansätzen, die auf offenen Webtechnologien und oft auf Open Source-Software aufbauen, kann die Hoheit über Daten beim ursprünglichen Dateneigentümer verbleiben. Solid wird gerade in den unterschiedlichsten Branchen und Systemen erprobt, z. B. ist auch eine Solid-Anbindung für Nextcloud in Arbeit.

Wenn die unterschiedlichen Datentöpfe eines Unternehmens und dessen Partner dann verfügbar sind, setzen unsere Verfahren und Methoden zur Datenintegration an. Dazu bauen wir auf das Konzept von Wissensgraphen. Ein anschauliches Beispiel ist unser Projekt »Semantic Web Lab«: Hier geht es darum, maschineninterpretierbare und wiederverwendbare Daten- und Workflowmodelle durch semantische Modellierung zu erhalten und Wissensgraphen für Daten und Workflows in Produktion und Logistik zu gestalten.

Gerade beim Thema Datenintegration mittels Wissensgraphen liegt noch viel Potenzial, das wir gemeinsam mit Unternehmen gerne erschließen. Hier gehen wir immer gerne in die Beratung.

Was dann den Bereich der Nutzbarmachung von weiteren Daten über Technologien des Internets der Dinge angeht, gibt es zahlreiche Projektbeispiele, die zugleich auch zeigen, wie Digitalisierung mit kleinen Mitteln speziell auch für KMU möglich ist: »Link4Pro« beschäftigt sich mit der digitalen Nachrüstung bestehender Anlagen. »SmaRackT – Smart Rack Monitoring«, hier entwickeln wir mit Partnern eine kostengünstige Objekt- und Füllstandsüberwachung am Regal mittels induktiver Nahfeldortung. »Pick-by-Tag«, wo wir ein neues visuelles und leitungsungebundenes Kommissionierverfahren auf Basis passiver RFID-Tags entwickeln. In einem anderen, mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojekt zu smarter, effizienter Lagerkommissionierung haben wir mit »TRILUM« ein flexibles Informationssystem für Kommissionierer und Werker zur Marktreife gebracht. Ziel bei all diesen Projekten sind kostengünstige, eigenständige Lösungen, die auch im Kleinen umsetzbar, iterative erweiterbar und deshalb insbesondere für KMU geeignet sind.

Wie gesagt: Mein Team und ich stehen für vertiefende Fragen und den persönlichen Austausch gerne zur Verfügung.